Die Herausforderungen der sibirischen Kälte

Scroll down to content

Bekanntlich gibt es ja keine Probleme, nur Herausforderungen. Entsprechend waren der Schnee und die Minusgrade, welche uns in Semei überraschten auch keine Probleme, sondern lediglich Herausforderungen. Und eigentlich einen guten Vorgeschmack darauf, was uns in Sibirien erwarten wird…

Aber zum Anfang. Denn in Ust-Kamenogorsk genossen wir neben den administrativen Hürden, welche wir noch zu erledigen hatten, ein paar wunderschöne, letzte Herbsttage. Auf unserer langwierigen Fahrt (siehe letzter Bericht) hatten wir natürlich viel Zeit. Zeit zum Nachdenken, Zeit zum Studieren, Zeit zum Planen. Glücklicherweise machten wir uns auch mal wieder Gedanken über unsere Weiterreise und das Visum für Russland. Dadurch merkten wir, dass unser Russlandvisum erst 10 Tage nach der 30-tägigen visafreien Zeit in Kasachstan gültig ist. Oh jeh. Also erstmals googeln, was es denn für Optionen gibt. Früher wurde die überzogene Zeit mit hohen Bussen oder sogar Gefängnis bestraft. Seit 2018 ist es glücklicherweise nicht mehr so streng und man muss ‚nur‘ zum Immigration Office, wo man das Visum bis zu 10 Tagen verlängern kann. Also in Ust-Kamenogorsk erstmals zum Immigrationsbüro. Aber eben, das ‚nur‘ ist in diesen Ländern nicht immer nur ein ‚nur‘. Natürlich kann niemand Englisch. Google Translate sei Dank ziehen wir von einem Büro zum anderen, nur um dort zu erfahren, dass wir das Visum erst beantragen können, wenn wir effektiv über der visafreien Zeit sind. In Ust-Kamenogorsk möchten wir die Zeit nicht rumschlagen und so packen wir unsere Sachen und fahren nach Ridder. Ein kleines Dorf, etwa die Grösse St. Gallens, tief im Altai Gebirge. Endlich wieder mal Berge! Hier können wir die letzten schönen Herbsttage beim Wandern geniessen.

Wir wollen es eigentlich gemütlich angehen, ist unsere letzte Steigung über 5 Grad doch schon eine Weile her. Keine Ahnung woran es liegt, doch das mit dem ‚gemütlich‘ klappt irgendwie nie bei uns. So treffen wir unterwegs eine Familie aus Ridder, die uns kurzerhand überzeugt, die etwas längere Wanderung über die linke Felswand zu machen. Nur etwa eine Stunde Umweg und gar kein Problem. Nun gut, denken wir, die sind ja auch nur mit Turnschuhen und Trainerhosen ausgerüstet, also kann das ja keine Sache sein. Was wir da noch nicht wussten war, dass Ridder neben Almaty die wichtigste Sportstadt Kasachstans ist und dort die kasachische ‚Elite‘ ausgebildet wird. So ist Shana, die Frau von Vitaly eine Sky-Runnerin, der Sohn macht ebenfalls bereits bei Bergläufen mit und die ältere Tochter ist professionelle Freeriderin. Die Wand, welche für uns eher sportlich ausgesehen hat, war indes auch so sportlich wie sie aussah und wir versuchten mit Müh und Not, den Vorkletternden an den Fersen zu bleiben. Mit diesen Sneakers in der Felswand und im Schnee, das wäre bei uns undenkbar. In der Schweiz wäre man bei solchen Verhältnissen mindestens mit einem soliden Paar Bergschuhen und einem Kletterhelm unterwegs. Aber, Ausrüstung ist eben nicht alles. Aus der einen Stunde Umweg sind dann doch etwa drei geworden und wir kehren am Abend fix und fertig zu Selma zurück.

Am nächsten Tag steht dann eine wirklich gemütlichere Wanderung an. Nur 1000 Höhenmeter sind es zum Radon Lake. Allerdings ist die Zeit auch begrenzt, sind wir am Abend doch noch bei der Familie vom Vortag eingeladen. Dort geniessen wir einen wirklich gemütlichen, kasachisch/russischen Abend, mit einem Banya im Voraus, einem leckeren Abendessen, und nein, nicht Vodka, sondern kasachischem Cognac. Bei solchen Begegnungen erfährt man auch immer wieder Interessantes. Zum Beispiel, dass die Frauen ein Jahr bezahlten Mutterschaftsurlaub und drei Jahre eine gesicherte Stelle haben, oder dass die Kasachen bei jedem Arbeitsantritt einen Alkoholtest machen müssen.

Am nächsten Tag bahnt sich dann das schlechte Wetter an. Nach einer wieder einmal wider erwarteten strengen Velotour am morgen verabschieden wir uns von der Familie und gehen unseren Rückweg nach Ust-Kamenogorsk an. Beim Immigration Office erhalten wir auch nach langem hin und her unser verlängertes Visum. Plus 10 Tage! Das reicht für die Ausreise, bzw. Einreise nach Russland. Wir haben schliesslich ab dem 25. Oktober einen engen Zeitplan für die 6000 km, die wir in einem Monat noch bis Wladiwostok abrasseln müssen.

Bis dahin bleibt uns aber noch etwas Zeit und wir beschliessen, nach Semei zu fahren. Semei war während der Sovietzeit das Atombombentestgelände und nur einen kleinen Umweg zur russischen Grenze. Also los, gross etwas anderes machen kann man momentan sowieso nicht. Es schiffet seit Tagen, und leider hat der Silikon auf dem Dach den Temperaturschwankungen nicht standgehalten, sodass wir an einem regnerischen Morgen überrascht mit einigen Pfützen in Selma aufwachen. Na toll, also erstmals Kübel aufstellen und das Dach notfallmässig von innen verkleben, bis es warm genug wird um das Dach neu zu silikonisieren. Doch die wärmeren Temperaturen lassen erstmals auf sich warten. Aus dem Regen wird Schnee und am darauffolgenden Tag hat sich zwar das Wasserproblem gelöst, dafür ergeben sich Neue. Bei -6°C am Morgen in Selma ist alles gefroren. Kein Wassertropfen fliesst mehr aus den Leitungen. Dazu kommt, dass die Dieselheizung nicht mehr anspringt. Also erstmals schlotternd alle möglichen Kleiderschichten anziehen und einfeuern. Zum Glück haben wir einen Ofen! Sobald der Ofen und die Sonne unsere Selma dann auf angenehme 3 Grad hochgeheizt hat, heisst es für uns vorbereiten und auftauen. Holz besorgen, Wasserleitungen entfrieren, Wasserkanister installieren.

Auch wenn alles vorerst auf Vordermann gebracht wurde, die Minustemperaturen geben uns schon zu denken, werden wir diesen “Herausforderungen” in Sibirien dann fast einen Monat lang ausgesetzt sein.  

Zum Glück wandten sich die Temperaturen die nächsten Tage wieder in den positiven Bereich und wir statteten bei schönem Wetter dem absurden Polygon, dem Atombombentestgelände, einen Besuch ab.

Ah und nicht zu vergessen, in Ust-Kamenogorsk bekam Selma noch eine nigelnagelneue, massgeschneiderte Frontscheibe. Der Steinschlag auf der Scheibe hat sich durch die starken Temperaturunterschiede vergrössert. Die Garage hat aber eine top Arbeit geleistet und alles in einem Tag für läppische CHF 180.- geflickt!

2 Replies to “Die Herausforderungen der sibirischen Kälte”

Leave a Reply

Fill in your details below or click an icon to log in:

WordPress.com Logo

You are commenting using your WordPress.com account. Log Out /  Change )

Twitter picture

You are commenting using your Twitter account. Log Out /  Change )

Facebook photo

You are commenting using your Facebook account. Log Out /  Change )

Connecting to %s

%d bloggers like this: